M. Dommann u.a. (Hrsg.): Data Centers

Titel
Data Centers. Edges of a Wired Nation


Herausgeber
Domann, Monika; Rickli, Hannes, Stadler, Max
Erschienen
Zürich 2020: Lars Müller Publishers
Anzahl Seiten
342 S.
von
Daniela Zetti

Der Sammelband Data Centers ist ein «Schnappschuss» der digitalen Schweiz, so Monika Dommann und Max Stadler in der Einleitung (S. 13). Thema des Bandes sind Datenzentren. Der Band ist visuell aufwändig gestaltet und gehört zu den «Schönsten Schweizer Büchern» und den «Schönsten Deutschen Büchern» der Jahre 2020 und 2021. Fotos von Andrea Helbling (siehe Helblings vier «visual essays») zeigen viel Grau. Grau sind die Wände von Gebäuden, in denen Daten verarbeitet, weitergeleitet und gespeichert werden. Helblings Bilder warten dabei mit einer Überraschung auf: ausgerechnet Zentren für Datenverarbeitung sehen industriell, mechanisch, ja geradezu anachronistisch technisch aus. Die wenigen farbigen Akzente im Grau sind Kabeln, Rohren und anderen metallenen Gegenständen geschuldet. Auf den Bildern, die Marc Latzel (S. 269–283) von der Schweizer Glasfaserproduktion der Dätwyler AG aufgenommen hat, sieht man einmal einen Arbeiter. Aber in Bewegung ist auf den Bildern nichts. Die digitale Gesellschaft wächst aus dem Materiellen, sie wurde auf Infrastrukturen errichtet und braucht Strom und Industrie, das ist eine erste Botschaft des Bandes. Die Fotografien legen eine starke Bildspur durch das Buch. Sie sind zum Teil ohne Stativ entstanden, wie Mitherausgeber Hannes Rickli betont (S. 29), und zeigen sorgfältig ausgewählte Sujets, die ihrerseits eigentümlich statisch sind. Das Grau der Bilder setzt sich im Layout fort. Das Buch ist innen und aussen grau. Die Typographie greift die schwarz-weisse und letternfreudige Ästhetik früher Computermonitore auf. Man könnte meinen, das Buch sei an einem alten Grossrechner gedruckt worden. Und genau zu diesen grossen Rechnern – oder besser: in die baulichen Überreste, in die real-existierenden und noch zu errichtenden Räumlichkeiten von Datenzentren – wollen uns die Herausgebenden mitnehmen.

Das Buch ist Ergebnis einer Kooperation zwischen Fotograf:innen, Wissenschaftler:innen und Student:innen, die gemeinsam oder je einzeln Datenzentren erkundeten. Auf gemeinsamen Forschungsreisen hat sich erwiesen, so Dommann und Stadler einleitend, dass Datenzentren Bauten für Server sind, vor allem aber «historische Komplexitäten» zeigen (S. 21). «On-site visits … heighten awareness of the longue durée of infrastructures and of their tendency to undermine nations, legal spaces, economic areas, and academic horizons of thought. The centers of data are complex entities.» Aus diesem Grunde habe man sehr unterschiedliche Zentren erkundet, «not always the newest, not always the largest, not always the most obvious. We’ve been in warehouses where computing antiquities from six or seven decades are piled up, at universities where discarded supercomputers serve as seats or stand unheeded in a corner; we have been in old, dysfunctional and new data centers, to computer center construction sites, to museums, to exhibitions.» (S. 21) Besuche in solchen Anlagen sind möglich, das entnimmt man dem Buch vielfach. Aber sie sind nicht üblich, denn Datenzentren der Gegenwart sind keine öffentlichen Räume. Auch das liest man oft. Es ist eine Stärke des Buchs, dass die Autor: innen an mehreren Stellen kollektive Überraschung adressieren. Ist im Reich der Datenverarbeitung, wenn nicht Zukunft, so doch wenigstens Ordnung und Funktionalität zu erwarten? Die stattdessen herrschende Unordnung beschreiben mehrere Beiträge. Es stapelten sich sogar in früheren digitalen Zukünften schon die Papiere, so Emil Zopfi über Rechenzentren der 1970er Jahre. Sascha Deboni beschäftigt, wie dort, wo heute Information absichtsvoll und unwiederbringlich zerstört wird, Durcheinander herrscht: Banken lassen Speichermedien schreddern, um ihre Inhalte unkenntlich zu machen. Max Stadler suchte und besuchte ein verlassenes Hochhaus in Ostermundigen, in dem früher ein Rechenzentrum der PTT untergebracht war, um am Ende zu lernen, dass in diesem Haus nicht wie erwartet die Rechner und Daten, sondern das Briefmarkenlager der Post geschützt worden war.

Vor Ort haben die Forschungsreisenden mit Personal gesprochen und gehört, dass sich manche alte und viel neue, digitale und nicht-digitale, schweizerische und nichtschweizerische Technik zu einer Infrastruktur verbindet, die national ist, ohne internationale Bezüge und im Ausland produzierte Bestandteile aber nicht denkbar ist. Diese Interpretation betont vor allem die Einleitung, sowie die gemeinsamen Beiträge von Monika Dommann und Max Stadler. Auch Lena Kaufmann schreibt über Verwicklungen («entanglements») zwischen China und der Schweiz bei der Herstellung von Glasfasern. Giorgio Scherrer betrachtet die Zeit, in der das nationale Supercomputing-Zentrum der Schweiz im Tessin entstand. Kijan Espahangizi und Moritz Mähr behandeln das «Zentrale Ausländerregister der Schweiz», das seit den 1960er Jahren aufgebaut wurde. Datenzentren, so die Schlussfolgerung von Dommann und Stadler in der Einleitung, sind die Ränder einer vernetzten Nation – «edges of a wired nation» (siehe auch den Untertitel des Bandes). Ergänzt wird der Band durch Beiträge (Renate Schubert und Co-Autor:innen; Andrés Villa-Torres), die ihrerseits Informationen und Daten produzierten: zur Energieproduktion und zum Energieverbrauch sowie zu den Wegen, die Daten gehen.

Es gilt auch weiterhin, dass Zentren, die Daten verarbeiten, Strom brauchen, um Rechner zu betreiben und zu kühlen. Glücklich wähnt sich, wer natürlich kühlen und Strom produzieren kann. Und so fügt sich zu den Grautönen der Bilder des Bandes ein weiterer: es ist das Grau der Berge. Wer aus Daten Kapital schlagen will (siehe Monika Dommann zum Zuger Crypto Valley), der braucht nicht zuletzt symbolisches Kapital. In der Schweiz besteht die Möglichkeit, finanzielles Kapital aus dem symbolischen Kapital des Reduits, dem sicheren Zufluchtsort in den Alpen, zu schlagen. Hier können Daten vor Zerstörung geschützt werden. Dass dieses Narrativ bewirtschaftet wird, das ist neben der Materialität der Datenproduktion die zweite grosse Botschaft des Bandes. Der abschliessende Beitrag von Silvia Berger Ziauddin über den Datenbunker in Saanen (Fotografien von Yann Mingard) bringt die materiell-symbolischen Austauschökonomien, die im Band angesprochen werden, hervorragend auf den Punkt.

Zitierweise:
Zetti, Daniela: Rezension zu: Dommann, Monika; Rickli, Hannes; Stadler, Max (Hg.): Data Centers. Edges of a Wired Nation, Zürich 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 73(1), 2023, S. 100-102. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00120>.